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Kleines Lexikon der Innenarchitektur

Möbelentwurf

Gebrauchbare Skulpturen …

Gutes Möbeldesign vereint Form und Funktion auf ideale Weise und verleiht dem Möbelstück eine Bedeutung, die weit über den reinen Gebrauchswert hinausgeht.

Sie sind unsere ständigen Weggefährten und Begleiter, befinden sich stets in unserer nächsten Nähe und ziehen mit, wenn wir den Wohnort wechseln – Möbel. Neben der baulichen Hülle unseres Zuhauses beeinflussen sie direkt die Atmosphäre und die Wirkung unserer Umgebung.

Als Gebrauchsgegenstände haben sie bestimmte Funktionen inne, die uns den Alltag erleichtern und das Leben komfortabel gestalten: Vom Stauraum über eine bequeme Sitz- oder Liegefläche bis hin zum Schreib- oder Essplatz sind die Aufgaben zahlreich und unterschiedlich.

Mit seiner Gebrauchsfunktion bedient das Möbel zunächst einmal die rein praktischen Bedürfnisse, die der Nutzer an dieses stellt. Da diese Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer in vielen Aspekten durchaus vergleichbar sind, haben sich in unserer modernen Gesellschaft Standards entwickelt, die in der Ausbildung der heutigen Möbel ablesbar sind. Wir finden zu fast jedem „Wohn-Bedürfnis“ entsprechende Handelsmöbel in unterschiedlichsten Qualitäts- und Preiskategorien.

Neben der reinen Funktion haben Möbel aber immer auch eine Form und bestehen aus Materialien. Die Ausbildung der Form mit diesen Materialien bestimmt das Bild, welches das Möbel nach außen abgibt, und beeinflusst das Gefühl, das es beim Nutzer auslöst, wenn er es anschaut und benutzt. Es geht also darum, ein gutes Verhältnis von Form und Funktion zu erreichen.

Ist dieses Verhältnis nicht ausgewogen, sind Probleme vorprogrammiert: Ist ein Möbel hauptsächlich schön, aber nur eingeschränkt nutzbar, stellt sich die Frage nach seinem Sinn. Steht nur die Funktion eines sonst nicht schönen Möbels im Vordergrund, wird dieses auf Dauer in der persönlichen Umgebung stören.

Letzteres Phänomen ist häufig bei der Thematik „Stauraum“ festzustellen: Hier misst der Nutzer der Funktion oftmals zu große Bedeutung bei. Alle vorhanden Gegenstände müssen irgendwie in der Wohnung untergebracht werden, egal wie. Die Folge ist, dass die entsprechenden Staumöbel häufig allein schon aus Kostengründen eher funktional als ästhetisch orientiert sein müssen. Leider ähneln in diesen Fällen die Lebensräume der Menschen oft eher einem Lager- als einem Wohnraum. Meist würde hier schon eine Differenzierung: Was ist wichtig für mich, und was brauche ich überhaupt nicht?“ dazu beitragen, die Masse an Staugut zu reduzieren und die Bedeutung der Form des Behältnisses zu vergrößern.

Misst man dem einzelnen Möbelstück gerne eine besondere Bedeutung bei, vielleicht, weil man sehr viel Zeit mit oder an diesem Möbel verbringt, oder weil vielleicht die Funktion im Aufbewahren eines ganz besonderen Gutes liegt, steigt oftmals der Wunsch nach Individualität: Die äußere (gute) Form soll dann die Funktion auf ganz besondere (individuelle) Weise unterstreichen.

Das Betrachten und Benutzen des Möbels soll erfreuen, die Fantasie anregen und nicht unbedingt einem Trend folgen. Hier kommt es dann auf die unverwechselbare Form an, die auch Jahre später noch Berechtigung haben soll.

Möbelklassiker, die jeder kennt, z. B. Stühle und Tische von Eileen Gray oder Mies van der Rohe, die heute noch genauso aktuell und modern sind wie zur Zeit ihrer Erfindung tragen diesen Anspruch in sich. Natürlich gilt dies auch für zeitgenössische Designer.

Eine weitere Inspiration für einen individuellen Möbelentwurf kann darin liegen, dass es für ein bestimmtes Bedürfnis noch gar keinen Möbelentwurf gibt, weil sich bis dato noch niemand damit auseinandergesetzt hat, weil vielleicht allein schon das Bedürfnis ein sehr individuelles ist, wie z. B. bei dem oben abgebildeten Lesetisch:

Hier bestand der Wunsch einer achtzig jährigen Kundin, die beim Lesen zunehmend Schwierigkeiten mit dem langen Halten von Büchern hatte, ein entsprechendes Möbelstück zur Unterstützung zu besitzen. Das Möbelstück sollte die Lektüre von unterschiedlich großen und schweren Büchern beim Sitzen in einem Armlehnsessel ermöglichen, dabei die Bücher in unterschiedlichen Schrägstellungen halten können. Gleichzeitig bestand der Wunsch, dass sich das Möbel in Form, Material und Farbe perfekt in die bestehende Wohnsituation einpassen sollte und möglichst leicht zu bedienen sein sollte. Da die Wohnung sehr klein ist, sollte das Möbelstück bei Nichtverwendung als Lesehilfe ebenfalls als Beistelltisch Einsatz finden. Weitere Wünsche bestanden darin, auf der Oberfläche auch schreiben zu können. Da die Beschäftigung mit Büchern eine sehr wichtige Tätigkeit für die Kundin darstellt, sollte diese Handlung durch die Wertigkeit des Möbels Ausdruck finden.

Das Ergebnis ist ein U-förmiger, auf Rollen laufender Tisch, der genau über die Armlehnen des Sessels passt und dabei genügend Platz zum Sitzen belässt. Ein Rahmengestell aus massivem Kirschholz ist auf Gehrung gearbeitet und als Endlosprinzip konzipiert. Dazwischen ist die Tischplatte mit einem braunen Linoleumbelag eingespannt und wird seitlich auf Gehrung ein Stück weit herunter geführt. In der Mitte der Tischplatte ist eine flächenbündige Klappe eingearbeitet, die stufenlos in verschiedenen Positionen aufgerichtet werden kann, eine Edelstahl-Einsteckschiene dient als Halterung, die auch ein Umblättern der Buchseiten problemlos ermöglicht. Der Kirschbaum findet sich in vielen Möbeln der Wohnung wieder, das braune Linoleum nimmt Bezug zur Farbigkeit von Sesseln und Teppich …

Auch die Funktion an sich und bestimmte Assoziationen damit können Entwurfsthema für die Gestaltung sein: So wurde z.B. der oben abgebildete Schuhschrank vom Bild aufeinander gestapelter Schuhkartone inspiriert. Schubkästen fahren nicht in einen umfassenden Korpus hinein, sondern hängen frei unter ihren „Deckeln“. Die Ausbildung der Fugen zieht sich um das Möbel herum und löst es in kubische Einzelteile auf. Es wird damit zu einem individuellen Möbel, das eine Geschichte über seine Funktion erzählt: eine gebrauchbare Skulptur …